IF3 Masters and Junior Worlds 2023

Klaus Werner, Oktober 2023

Ich habe es geschafft! Die lange Saison ist beendet und tatsächlich verspüre ich keine Lust, heute, morgen oder gar irgendwann wieder zu trainieren. Ich freue mich sogar über den morgigen Flug, bei dem ich nichts tun muss, nur sitzen, atmen und ab und zu etwas essen. Pilot und Flugbegleiter machen die Arbeit.

Das ist ein Zustand, den ich sonst nicht kenne. Ich trainiere fast jeden Tag mit großer Freude.

Jetzt aber der Reihe nach.

Unsere Saison beginnt mit der Landesmeisterschaft des Bundesverbandes für funktionale Fitness Anfang des Jahres, gefolgt von der Regionalmeisterschaft im späten Frühjahr und der Deutschen Meisterschaft im Juli. An diesen nehme ich teil, qualifiziere mich jeweils für die nächste Runde und werde schließlich in den Nationalkader der „Masters“ nominiert, wie die Alten offiziell genannt werden. Wobei es mit sehr jungen Alten beginnt, ab 30 gehen die Altersklassen in Fünfjahresschritten bis 65+.  

Das bedeutet für mich eine Verlängerung der Saison um die Weltmeisterschaft im Herbst in Kanada. Wir sind insgesamt 33 deutsche Athleten, einige mehr als zwei Jahre zuvor bei meiner ersten Weltmeisterschaft in Ägypten. Ich freue mich, Brita, Katrin, Matthias, Nicolette und Sandra wiederzutreffen und einige neu kennenzulernen. Von Luparo Fitness sind Patrick und Julia mit dabei, sowie André, den wir gerne als Teil des erweiterten Rudels sehen. Vanessa und Jannis begleiten mich. Viele andere Begleiter sind ebenso dabei. Die meisten verbinden die Reise mit anschließendem oder in unserem Fall vorherigem Urlaub.

Die Veranstaltung findet im Richmond Olympic Oval statt, im Einzugsgebiet von Vancouver. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, welch gigantische Hallen man für Eisschnelllaufbahnen braucht. Unser Wettkampf findet am hinteren Ende des Gebäudes statt. Obwohl sie nur einen Bruchteil der Anlage ausmacht, sind wir doch in einer vollwertigen großen Halle inklusive mehrreihiger Tribüne.

Ich habe verschiedene, gestaffelte Ziele für den Wettkampf, der wie immer aus sechs Einzelwettbewerben (Tests) besteht. Diese haben jeweils ein bestimmtes übergeordnetes Thema, aber die genauen Übungen und der Ablauf werden von Meisterschaft zu Meisterschaft neu festgelegt. Details für diese Meisterschaft finden sich hier.  

Minimalziel ist es, nicht Letzter zu werden. Als die Details der Tests veröffentlicht werden, bin ich sehr zuversichtlich, dieses Ziel zu erreichen, da sie mir im Großen und Ganzen gut liegen.

Ein ambitionierteres Ziel ist eine einstellige Platzierung, nachdem ich in Kairo auf Platz 10 landete. Da von 13 angemeldeten nur 11 Männer in meiner Altersklasse wirklich antreten, unterscheidet es sich nicht sehr vom Minimalziel.  

Richtig gut wäre ein Platz unter den ersten fünf, aber das traue ich mich nicht mal laut auszusprechen. Sahnehäubchen wäre ein Sieg in einem der Einzelwettbewerbe.

Seit Kairo hat sich sehr viel getan, wir haben zwei Betreuerinnen, Inga und Janine. Mit Marcel haben wir sogar einen Nationaltrainer, der selbst in seiner Altersklasse antritt. Wir haben im Vorfeld des Wettkampfes Kadertrainings, die mir sehr weiterhelfen. Es ist insgesamt alles super organisiert.

Samstag, 30.09.2023

Endurance Test

Das sollte dem Namen nach ein Ausdauertest sein. Bei vielen Veranstaltungen werden dabei Geräte (Ergometer) eingesetzt und das abzuarbeitende Volumen ist nicht so hoch, dass es wirklich die Ausdauer testet, jedenfalls nicht wesentlich mehr als andere Testkategorien. In diesem Fall ist es meiner Meinung nach auch kein wirklicher Ausdauertest, aber zumindest gibt es keine Geräte. Wir bewegen uns tatsächlich im Raum, nämlich auf einem echten Fußballfeld mit echten Füßen über die gesamte Distanz des Feldes hin und her. Es ist ein sogenannter death by (Tod durch…) Wettbewerb. Im Minutentakt ist jeweils eine geforderte Arbeit zu absolvieren, solange bis man diese in der Minute nicht mehr beenden kann.

In der ersten Minute machen wir Burpee Box Jump Over (auf den Boden legen, aufstehen und über eine Kiste springen). Die Anzahl Wiederholungen, die man schafft, ist am Ende nur entscheidend, wenn zwei oder mehr Leute im restlichen Verlauf gleich abschneiden. Das ist der sogenannte Tie Break, das Wort kennen viele aus dem Tennis.

Danach geht es richtig los. In der nächsten Minute geht oder rennt man 100 Meter, also 50 Meter hin und 50 zurück, so dass man wieder an der Startlinie ankommt. Von Minute zu Minute erhöht sich die Anzahl der Meter um 10. Markiert sind die Distanzen mit Hütchen, die man zum Zeichen, dass man sie erreicht hat, jeweils umwerfen muss.

Wir starten in unserer Altersgruppe nicht alle gleichzeitig, es sind ein paar schon in einer früheren Startergruppe. Wir können sie beobachten und sehen, wie weit sie kommen. Ich merke mir die Hütchenfarbe des letzten Hütchens, das der Erste dieser Gruppe noch erreicht hat. Es sieht für mich aus, als sollte ich das auch schaffen. Ich habe durch vorheriges Testen zu Hause eine ungefähre Vorstellung, wie weit ich kommen würde. Nachteil hier ist allerdings, dass das Feld zu klein ist, um alle Runden nur einmal hin und zurück rennen zu können. Schon ab der Runde mit 180 Metern müssen wir zurück zur Startlinie und dann nochmal eine kürzere Distanz hin und her rennen. Das bedeutet zwei zusätzliche Wendungen, die Kraft und Zeit kosten.  

Marco, der andere Deutsche meiner Altersklasse, sagt, der Erste der vorherigen Gruppe sei bis zum Strafraum gekommen, das müssen wir schaffen. Es ist ein guter Hinweis, denn der Strafraum ist eine bessere Orientierung als die Hütchenfarbe. Der Wind bläst gelegentlich ein Hütchen weg, für die Strafraumgrenze ist der Wind sicher nicht stark genug.

Es ist ein unsicheres Spiel mit den Burpees zu Beginn. Man kann sich in einer Minute dabei extrem verausgaben und wertvolle Kraft vergeben. Auf der anderen Seite ist die Chance groß, mit mehreren Athleten die gleiche Anzahl Runden zu erreichen, so dass die Burpees wichtig sind für die Platzierung. Mein ursprünglicher Gedanke war, es langsam angehen zu lassen, aber kurz vor Start entscheide ich mich, ein hohes Tempo anzusetzen. Burpees fallen mir eher leicht im Vergleich zu anderen Athleten und in den ersten Runden des Laufens kann man sich gut erholen wegen der kurzen Distanzen. Nach 15 Wiederholungen ist die erste Minute rum.

Die nächsten paar Runden laufe und gehe ich ganz locker. Dann kommen die ersten Doppelwendungen ab 180 Metern in der Minute. Soweit ich sehen kann, sind alle noch dabei. Das war zu erwarten, aber natürlich wäre es schöner, schon ein paar Plätze hinter sich zu wissen. Jetzt wird es anstrengend, wir sind bei 210 Metern. Ich schaue nicht mehr nach anderen, ich muss mich konzentrieren, das richtige Tempo zu wählen, um nicht zu schnell, aber auf keinen Fall zu langsam zu sein.

Bei der 230 Meter Runde kommen wir an die Strafraumgrenze und stellen damit die vorherige Bestleistung ein. Scheinbar plötzlich sind wir nur noch zu dritt, Marco, ein Schwede und ich. Zuversichtlich, die nächste Runde noch zu schaffen, freue ich mich schon über mindestens Platz 3. Obwohl ich normalerweise bei Endurance Tests sehr gut abschneide, war ich mir bei dieser ungewohnten Art vorher unsicher.

Die 240 Meter Runde ist schon recht hart. Ich merke gegen Ende, dass ich keine weitere Runde mehr schaffen würde und falle über die Ziellinie. Vanessa steht dort und bevor sie mich anschreien kann, ich solle gefälligst weiterlaufen, sage ich ungefähr zehn Mal, dass ich nicht mehr kann. Stattdessen sagt sie, dass keiner mehr läuft. Tatsächlich, Marco und der alte Schwede haben auch keine weitere Runde begonnen.  

Zu dem Zeitpunkt weiß ich nicht, wie viele Burpees die anderen gemacht haben. Am Ende stellt sich raus, dass ich die meisten und damit diesen Test gewonnen habe. Das Sahnehäubchen habe ich schon erreicht, nur noch nichts, um es oben drauf zu setzen.

Bodyweight Test

Dies sind Übungen mit eigenem Körpergewicht, also ohne Zusatzgewichte. In meiner Altersklasse müssen wir in der ersten Runde fünfmal ein Seil hochklettern auf 4,5 Meter Höhe, gefolgt von 15 Ring Dips (an Turnerringen aus dem Stütz die Arme beugen und wieder strecken). Als dritte Übung sind 100 Kniebeugen zu absolvieren. In den folgenden vier Runden geht es weiter mit jeweils 4, 3, 2, 1 Mal Seilklettern, 10, 10, 5, 5 Ring Dips und 80, 60, 40, 20 Kniebeugen.  

Seilklettern mache ich gerne, das fällt mir leicht. Es sind nicht so viele Ring Dips, da werde ich gut durchkommen, denke ich. Insgesamt 300 Kniebeugen machen mir Angst. Ich bin mir nicht sicher, dass ich überhaupt fertig werde und was das für meine Beine für die nächsten Tage bedeuten würde.

Die jüngeren Leute unter 50 haben eine wesentlich schwerere Variante des Seilkletterns (sitzend vom Boden startend) und eine höhere Anzahl Ring Dips. Im Großen und Ganzen finde ich sowohl die Tests als auch die Skalierungsvarianten (z.B. leichtere Gewichte, weniger Wiederholungen) für die höheren Altersklassen bei dieser Weltmeisterschaft gut gelungen, besser als bei der Deutschen Meisterschaft. Allerdings verändert sich der Charakter des Tests in diesem Fall durch die Skalierung des Seilkletterns sehr stark. Für die jüngeren Altersklassen entscheidet sich alles am Seil. Ich vermute die Kniebeugen sind für sie willkommene Pause, um wieder Kraft zu sammeln. Soweit ich es überblicke, macht keiner von ihnen 300 Kniebeugen, weil niemand fertig wird und viele schon in der zweiten Runde nicht mehr über das Seil hinauskommen bis zum Ablauf des 15 minütigen Zeitlimits.

Die erste Runde läuft gut für mich, ich bin allerdings überrascht, dass meine Mitstreiter am Seil ein ähnliches Tempo vorlegen wie ich. Ich habe erwartet, etwas Vorsprung zu gewinnen, den ich dann teilweise bei den anderen Übungen wieder verlieren würde. Die ersten 15 Ring Dips sind noch leicht. Die 100 Kniebeugen sind erwartungsgemäß hart, auch bin ich nicht besonders schnell, aber noch ganz gut dabei. Die zweite Runde läuft immer noch flüssig, auch wenn die 80 Kniebeugen mit bereits 100 in den Knochen schon keinen Spaß mehr machen. Ab der dritten Runde werden vor allem die Ring Dips schwer.

Mir ist beim Beobachten der anderen Teilnehmer in anderen Gruppen aufgefallen, dass die meisten Schiedsrichter nicht sehr streng auf die korrekte Ausführung der Ring Dips achten und viel durchgehen lassen.

Ich reduziere den Bewegungsumfang etwas und schaue meine Schiedsrichterin an, sie zählt ungerührt weiter. Ich kämpfe mich durch weitere Kniebeugen, das bisschen Seil ist schon gar nicht mehr der Rede wert. In der letzten Runde Ring Dips schäme ich mich fast für deren schlechte Ausführung, aber sie zählt und zählt. Alle Wiederholungen werden als gültig gewertet. Ich komme als Dritter ins Ziel, bevor die 15 Minuten abgelaufen sind. Insgesamt werden vier unserer Altersklasse fertig.

Marco wird erster, damit stehen wir beide punktgleich nach Tag 1 auf dem ersten Platz. Marco sagt, wir beide zusammen auf dem Podium, das wäre doch was. Ich lache und antworte, es sei ein guter Scherz. Marco auf dem Podium kann ich mir gut vorstellen, ich hingegen, das ist undenkbar.

Auch manche anderen des deutschen Teams raunen mir augenzwinkernd zu: „Platz 1, aber kein Druck“.

Sie wissen nicht, dass mir die ersten drei Tests mit Abstand am meisten liegen und ich danach einen Absturz in der Tabelle vorhersehe, bei dem ich zwar nicht unten aufschlagen, aber doch einige Plätze verlieren würde. Schon der nächste Tag sollte es zeigen.

Sonntag, 01.10.2023

Skill

Das ist ein Test der Geschicklichkeit, der Fähigkeit, schwierigere Übungen durchzuführen. Er beginnt mit Handstand Walk (Laufen auf den Händen), was ich gut kann, worauf ich mich auch freue. Bei derlei Übungen besteht die Gefahr, dass sie in hohen Altersklassen durch andere ersetzt werden, die weit weniger anspruchsvoll sind. Die einzige Erleichterung für uns ist allerdings, dass wir die 7,5 Meter nicht am Stück laufen müssen, sondern in drei 2,5 Meter-Abschnitten laufen dürfen.

Im Aufwärmbereich erzählt mir Katja jedoch, dass es Diskussion gebe, für die höheren Altersklassen den Handstand Walk kurzfristig doch zu ersetzen. Es gibt meiner Meinung nach keine Skalierungsvariante, die einen Handstand Walk sinnvoll ersetzt oder erleichtert. Ich sehe mich schon auf allen Vieren mit den anderen um die Wette krabbeln.

Ich frage die Präsidentin des Weltverbandes, die gerade zufällig in der Nähe ist. Sie sagt, es werde nur für die Damen diskutiert und auch nur geändert, wenn alle einverstanden seien. Ich weiß von Angelika (65+), dass sie und ihre Konkurrentin beide keinen Handstand Walk machen werden. In diesem Fall ist eine Änderung des vorgesehenen Ablaufs natürlich sinnvoll und von beiden auch erwünscht. Ich würde mich mit Händen und Füßen gegen jede Variante wehren, bei der Hände und Füße auf dem Boden sind. Glücklicherweise muss ich das nicht, es bleibt für uns wie geplant. Es wird allerdings nicht nur für die Damen, sondern auch für die Männer ab 60 oder 65 angepasst.

Nach dem Handstand Walk kommen 50 doppelte Seilsprünge (das Seil muss pro Sprung zweimal unten durch), dann wieder auf den Händen dieselbe Strecke zurücklaufen, gefolgt von 20 Klimmzügen in der ersten Runde.  

Die zweite Runde beginnt wie die erste. Am Ende gibt es eine schwierigere Klimmzugvariante, bei der man mit der Brust die Stange berühren muss, statt nur das Kinn darüber zu bringen. Davon machen wir nur 10 Wiederholungen.

In der dritten Runde sind es am Ende 5 Bar Muscle Ups, bei denen man komplett bis oben in den Stütz kommen muss.  

Es gibt theoretisch noch weitere Runden, aber mir ist klar, dass ich in 9 Minuten nicht viel weiter kommen würde. Mein Ziel ist, mindestens einen Bar Muscle Up zu schaffen, denn damit hätte ich eine Platzierung zumindest vor allen, die das gar nicht können. Muscle Up ist in meiner Altersklasse keine Selbstverständlichkeit mehr, da Kraft, Gelenkigkeit und Explosivität im Alter eher nachlassen. Selbst unter den jüngeren Leuten können es nicht alle.

Das ist der einzige Test, den ich zu Hause zweimal komplett durchgegangen bin und jeweils habe ich mein Minimalziel erreicht. Entsprechend zuversichtlich gehe ich ran. Die größte Unsicherheit sind die Seilsprünge, deren Gelingen von der Tagesform abhängt.  

Leider laufen die Seilsprünge nicht gut, dafür läuft der Rest erwartungsgemäß bis gut. Die Konkurrenz ist recht stark, es sind einige dabei, die ein hohes Tempo gehen. Wie ich später erfahre, war einer der Schweden früher Turner und läuft entsprechend spielend leicht auf den Händen.

Ich schaue das erste Mal auf die Uhr als ich in der dritten Runde den zweiten Lauf auf den Händen beende. Es ist etwa noch eine Minute Zeit, das ist besser als im Training. Ich schaffe alle fünf Muscle Ups, habe dabei aber leider einen Fehlversuch, der Zeit kostet. Daher komme ich nicht mehr auf die Hände, aber das hätte auch keinen Unterschied gemacht, so oder so lande ich auf Platz 3. Insgeheim habe ich mir sogar eine bessere Platzierung erhofft, da ich die Skill Tests am liebsten mag. Auch wenn ich bei Endurance etwas besser bin, macht es mir doch weniger Spaß als die Skills.

Der dritte Platz reicht allerdings für den alleinigen Platz 1 in der Gesamtwertung, da Marco etwas hinter mir landet. Ich bekomme noch mehr „keinen Druck“. Das würde sich schon am frühen Nachmittag erledigt haben, denn mein sicherlich schlechtester Test steht an, der Krafttest.

Strength

Natürlich gibt es auch dabei Varianten, die mir besser oder schlechter liegen, aber wenn ein Test diesen Namen verdient, so schneide ich nicht gut dabei ab. Ich bin nicht besonders stark, da hilft keine gute Tagesform und keine Mentaltechnik. Es ist für mich der entspannteste Test, denn ich gehe ohne große Erwartungen rein. Man hat auch nur fünf Minuten Zeit, in denen man sich nicht völlig verausgaben muss oder kann. Das liegt in der Natur der Sache, denn die Krafttests sind natürlich schwer, aber die einzelne Anstrengung ist sehr kurz.

Wir müssen eine Langhantel mit möglichst viel, aber selbst gewähltem Gewicht zweimal vom Boden auf die Schultern bringen, direkt in zwei Kniebeugen übergehen und das Gewicht zuletzt zweimal über Kopf mit gestreckten Armen bringen, ohne zwischendurch abzusetzen.

70kg würde ich ziemlich sicher schaffen, aber damit käme ich wohl über den letzten Platz nicht hinaus. Man kann sich umschauen und sehen, was die anderen auf der Hantel haben. Viele haben schon beim ersten Versuch mehr, als ich in Bestform schaffen könnte.  

Ich pokere etwas höher und beginne mit 72,5kg. Der Anfang läuft gut, aber meine Beine zittern, die 300 Kniebeugen vom Vortag sind noch lange nicht verdaut. Ich kriege keinen Schwung aus den Beinen, um die Hantel von den Schultern nach oben zu beschleunigen und komme damit auch nicht richtig in den Ausfallschritt unter die Langhantel, in dem man normalerweise das Gewicht fängt. Die erste Wiederholung schaffe ich mit schlechter Technik noch gerade so, aber ein zweites Mal geht es einfach nicht, es ist ein ungültiger Versuch.

Also doch zurück auf die 70kg, die nach der Vorermüdung mit Ach und Krach klappen. Jeder Athlet hat einen eigenen Schiedsrichter und zusätzlich gibt es noch einen Hauptschiedsrichter, der die gesamte Gruppe im Blick hat und dafür sorgen soll, dass einheitliche Standards eingehalten werden. Im Zweifelsfall hat er das letzte Wort. Er sieht meinen Kampf um die letzten Zentimeter Armstreckung in der Höhe und verlangt, dass ich erst Kontrolle zeige, also ruhig in einer stabilen Position stehen bleibe, bevor ich ablassen darf.  

Diese Wiederholung wird als gültig gewertet, das ist gut für mein eigenes Gefühl, selbst wenn es den letzten Platz bedeutet und mir so manchen berechtigten Kommentar über meine zweifelhafte Technik einbringt. Tatsächlich bin ich gemeinsam mit einem anderen Athleten zwar hinten, aber wegen des Gleichstandes wird es für uns beide als vorletzter Platz gewertet, was immerhin ein paar Punkte bringt.

Überraschenderweise schließe ich damit Tag 2 immer noch auf Platz 2 in der Gesamtwertung ab, so sagt man mir. Ich schaue selbst nie auf die Tabelle im laufenden Wettkampf, denn ich möchte mich ungern davon beeinflussen lassen, wer dicht hinter oder vor mir ist. Es besteht die Gefahr, dass ich mich zu sehr ablenken lasse. Ich muss in jedem Test mein eigenes Tempo gehen. Ich darf nicht jemand anderem hinterherrennen oder im Tempo nachlassen, weil die anderen langsamer scheinen als ich.

Sonntag, 01.10.2023

Anfangs finde ich es schade, dass die ersten Tests meine besten sind und es danach nur noch bergab geht. Dass ich nach dem Krafttest allerdings auf Platz 2 stehe, spornt mich an. Eine gute Chance auf einen Platz unter den ersten fünf habe ich allemal. Der nächste Test würde vermutlich das Zünglein an der Waage sein, denn dabei gibt es für mich am meisten zu gewinnen oder zu verlieren.

Power

Power Tests sind harte Sprints, die so ausgelegt sind, dass man nur wenige Minuten Zeit hat, meist schwerere Übungen mit nicht zu vielen Wiederholungen durchzuführen. Das ist für mich der wahre Endgegner. Ich kann das nicht besonders gut, nur im Gegensatz zu den Krafttests, habe ich hier trotzdem eine Chance, nicht zu weit hinten zu landen. Eigentlich müssten diese Tests Will Power (Willenskraft) heißen. Mehr als bei allen anderen kann man sich hier quälen wollen oder auch nicht. Ein paar Sekunden machen einen großen Unterschied.

Ich nehme mir vor, aufs Ganze zu gehen, die 30 Kalorien auf dem Ruderergometer recht hart anzugehen und die anschließenden insgesamt 30 Wiederholungen mit der Kurzhantel durchgehend zu absolvieren. Sehr schnell würde ich die Wiederholungen nicht machen, aber ich möchte nicht loslassen, keine Pause einplanen und auch den Gedanken an eine Pause nicht zulassen.

Das ist kein genialer Plan, das versucht jeder andere vermutlich so ähnlich. Es ist keinesfalls sicher, dass jeder ohne Pause durchgehen kann. Viele haben das im Training nicht geschafft, schnappe ich in Gesprächen auf. Ich habe es im Training nie komplett probiert, sondern nur in Teilen.

In der Gruppe, die vor uns dran ist, sind einige sehr schnell, ein paar langsamere kommen bei etwa 2 Minuten 40 Sekunden ins Ziel. Das ist etwa die Zeit, die ich für mich ausgerechnet habe, das könnte ich schaffen, wenn es gut läuft.

Ich bin vermutlich aufgeregter als bei jedem anderen Test, der Ausgang ist völlig ungewiss. Es geht los, ich rudere mit 1700 Kalorien pro Stunde, das fällt mir erstaunlich leicht. Es ist keine konkurrenzfähige Geschwindigkeit, viele rudern sicherlich 2000. Es macht aber nur einen Unterschied von 10 Sekunden auf die 30 Kalorien, die in der Folge, sollte jemand Pause machen müssen und ich nicht, sicherlich aufzuholen wären.  

Marco ist neben mir und rudert schnell. Er steigt vom Gerät, als ich noch 4 Kalorien übrighabe. So etwa habe ich es erwartet, ich bin noch im Plan.

Ich nehme die Kurzhantel und reiße sie das erste Mal vom Boden in die Höhe. Es steht das richtige Gewicht (22,5kg) drauf, aber sie müssen mir eine leichtere gegeben haben, sie fliegt nach oben. Die ersten 10 Wiederholungen gehen schnell und flüssig, dann geht es in die Thrusters (Kniebeuge, bei der die Hantel auf der Schulter liegt und beim Aufstehen direkt nach oben ausgestoßen wird, bis der Arm gestreckt ist). Das fällt mir mit einer Hantel wegen des Ungleichgewichts von der Koordination her nicht so leicht, es läuft nicht richtig rund. Nach sechs Wiederholungen wechsle ich den Arm, mache zwei mit links, dann wieder zwei mit rechts und diese 10 sind auch geschafft. Anschließend muss ich von beiden Übungen nur noch je fünf Wiederholungen ausführen.

Ich höre Marcel, Matthias und Vanessa von rechts irgendwas schreien, sie feuern mich an, sagen vielleicht ich soll dranbleiben. Es fühlt sich gut an, angefeuert zu werden, aber wirklich zuhören kann ich nicht, ich darf einfach die Hantel nicht loslassen. Bei den letzten fünf Thrusters fällt mir die tiefe Hocke schwer. Ich verstehe es nicht, denn sonst ist das nie ein Problem. Der Hauptschiedsrichter kommt von links und mahnt die fehlende Tiefe an. Ihm muss ich zuhören, ob ich will oder nicht. Ich gehe nochmal ganz tief unten rein, das scheint für ihn ok. Er bleibt aber bei mir stehen und droht damit, die nächste Wiederholung ungültig zu werten, falls ich wieder nachlässig werde. Bevor er richtig ausreden kann, renne ich aber schon ins Ziel, denn es ist meine letzte Wiederholung.

Ich schaue nicht, was die anderen machen und auch nicht auf die Uhr. Ich bin zufrieden, dass ich am Plan festhalten konnte und dass es vorbei ist. Auf allen Vieren krieche ich zu Marco, wir klatschen ab. Mir ist aus den Gesprächen vor dem Test klar, dass auch er äußerst zufrieden mit seiner Leistung ist. Dann erst schaue ich auf die Uhr. Sie zeigt immer noch eine 2 bei der Minute, auf die Sekunden achte ich nicht. Das ist phänomenal, ich muss deutlich unter 3 Minuten ins Ziel gekommen sein. Die Schiedsrichterin hält mir einen Zettel hin, auf dem 2:22 steht. Das unterschreibe ich gern, auch wenn ich keine Brille aufhabe und womöglich eine Waschmaschine für 222 kanadische Dollar kaufe.

Vanessa sagt, dass ich vermutlich Siebter, vielleicht auch Sechster geworden bin. Ich habe also mindestens vier Leute hinter mir gelassen, das ist schon recht gut, aber ganz zufrieden bin ich damit nicht. Tatsächlich lande ich aber auf dem fünften Platz und somit in der besseren Hälfte. Immer noch bin ich damit auf einem Podiumsplatz.

Mixed Modal

Dies ist eine Mischung verschiedener Übungsarten, es kann dabei alles Mögliche kombiniert werden. Meistens sind ein paar Dinge dabei, die mir gut liegen und ein paar, die mir weniger gut liegen. Daher erwarte ich ein Ergebnis irgendwo im Mittelfeld. Beim Testen zu Hause ist es mir recht schwergefallen, es wird ein hartes Stück Arbeit. Ich bin trotzdem zuversichtlich, weil es mit 15 Minuten recht lang geht, was normalerweise gut für mich ist.

Los geht es mit 1600 Metern Radfahren auf einem Airbike, das ist eine Art Crosstrainer in Fahrradform, der sich natürlich nicht fortbewegt, schon gar keine Meile. Zu meiner Überraschung steige ich als einer der ersten vom Rad und beginne mit den Front Rack Walking Lunges (Langhantel mit 43kg auf den Schultern, in Ausfallschritten, bei denen das Knie den Boden berührt, 30 Meter laufen). Das läuft recht gut. Anschließend kommen 33 Toes To Bar (an der Klimmzugstange hängend die Füße nach oben schwingen, bis die Zehen die Stange berühren). Diese habe ich im letzten Jahr viel geübt, was sich jetzt auszahlt.

Der Mittelteil dieses Tests ist der härteste und längste. Das würde sich nicht gut anfühlen, egal wie die Tagesform ist. 33-mal muss die Langhantel – eine sogenannte Axle Bar, die mit etwa fünf Zentimeter Durchmesser deutlich dicker ist als normale Gewichtheberhanteln – vom Boden auf die Schulter gebracht werden. Schon die ersten zehn Wiederholungen dauern eine gefühlte Ewigkeit, bei 17 ist die Hälfte gerade mal überschritten, es zieht sich und zermürbt. Schließlich schaffe ich es und bin noch ganz gut in der Zeit gemessen an meinen Erwartungen.  

Nun geht es in den Übungen wieder rückwärts. Weitere 33 Toes To Bar fallen mir deutlich schwerer, ich bin erschöpft, meine Griffkraft hat gelitten und ich muss einzelne Wiederholungen machen, statt sie flüssig aneinander zu reihen.

Die Walking Lunges gehen wieder recht gut und ich komme schnell zurück aufs Rad. Ein paar andere radeln schon, einige sind noch bei den Walking Lunges, aber das Feld ist sehr dicht. Keiner wird in den 15 Minuten fertig, aber alle schaffen es noch aufs Rad. Einige wenige hundert Meter entscheiden über die Platzierungen.

Ich werde Sechster, lande also genau in der Mitte. Das ist gut, ich bin damit sicher unter den ersten fünf insgesamt, aber mit dem Podiumsplatz wird es eng werden. Zunächst überwiegt die Erleichterung, es geschafft zu haben, egal wie es ausgegangen ist.

Ich werde Dritter der Gesamtwertung, Marco wird erster. Wir stehen tatsächlich zusammen auf dem Podium, ich kann es kaum fassen. Ein US-Amerikaner wird Zweiter.

Das deutsche Team schneidet insgesamt mit 9 Medaillen und weiteren hohen Platzierungen überraschend gut ab. Die Stimmung in der Mannschaft ist entsprechend. Wir richten Flaggen für die Siegerehrung und schauen, dass die Frisur gut sitzt. Ach nein, ich habe ja gar keine Frisur, wie mir von einer Frisörin vor kurzem erst attestiert wurde.  

Der Bericht des Verbandes mit allen Platzierungen der deutschen Athleten findet sich hier.

Ich bin sehr dankbar für die vielen Leute, die solche Veranstaltungen überhaupt möglich machen. Es steckt viel Arbeit dahinter, uns Athleten einen Haufen Spaß und Quälerei zu ermöglichen.

Allen voran sind die vielen Freiwilligen im Hintergrund zu nennen, die sich um das Equipment und den reibungslosen Ablauf kümmern. Die Schiedsrichter, die es manchmal schwer mit uns haben und sich die ganze Zeit konzentrieren müssen, sind ebenso ehrenamtlich tätig. Auch im deutschen Verband passiert viel im Hintergrund, Jule unterstützt aus der Ferne, Inga, Janine und Marcel vor Ort. Es gibt sicherlich weitere Helden des Ehrenamts, deren Namen ich nicht mal kenne.

Maximilian Kelm von lift-heavy.de sponsort unsere optisch und funktional hochwertige Wettkampfkleidung und ist gleichzeitig als Fotograf tätig. Er stellt uns seine Bilder zur Verfügung, von denen Ausschnitte hier zu sehen sind.

Auch Philipp, dem Chef von luparo.fitness, mit seinem Trainerstab sei gedankt, die uns Luparo-Athleten auf einen guten Weg gebracht haben. Darüber hinaus stellt er seine Räumlichkeiten als Stützpunkt Süd für Kadertrainings zur Verfügung.

Vanessa unterstützt mich als Coach vor Ort, mit ihr spreche ich Strategien durch, und sie behält den Überblick über Zeiten, die Tabelle und vor allem über regelmäßige wettkampfgerechte Ernährung, davor und währenddessen. Möglicherweise kommt mir ihre Weitsicht bei der Trainingsplanung eines Tages zugute. Sobald in den Tests 300kg Heuballenrollen, 25kg Pferdefuttersäcke über die Schulter werfen oder Spinnen fangen vorkommt, bin ich vorbereitet!

Dank gilt auch dem Rest der Mannschaft für gegenseitige großartige Unterstützung. Selbst wenn ich immer noch keine Lust auf weitere Wettkämpfe habe, freue ich mich darauf, möglicherweise eines Tages wieder mit der Mannschaft anzutreten.

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